Müllers Mutzmühle | Mittwochsmix 92

Der schöpferische Papiersommer ist vorbei. Papierschöpfen war unser Sommerpost-Thema und ich muss zunächst Danke sagen für die viele viele wunderschöne Post, die mich erreicht hat. Auf dem Post-Kunst-Werk-Blog wird es morgen die Finissage geben, in der wir eure tollen Schöpfungen würdigen werden. Heute bin ich euch meine Schöpfungs-Geschichte schuldig, sie ist sehr lokal geprägt und etwas traurig. Meiner Post habe ich einen Text beigelegt, in dem alles erklärt ist. Deshalb ist dieser Beitrag anders sonst, ein langer Text und viele Bilder, schaut selbst:

Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Reste von Chromolux-Karton geschreddert und eingeweicht.

Chromolux aus Müllers Mutzmühle

Bergisch Gladbach ist eine Papierstadt, besser gesagt es war eine Papierstadt. Am kleinen Flüsschen Strunde stellten seit dem 16. Jahrhundert unzählige Mühlen Papier her. 1829 kaufte Johann Wilhelm Zanders die älteste Papiermühle an der Strunde und baute in den folgenden Jahrzehnten die Produktion in Bergisch Gladbach aus. Mit der Fabrik wuchs die Stadt – Bergisch Gladbach ist ohne Zanders nicht denkbar.

Als ich in den 1990er Jahren in Münster Kommunikationsdesign studierte, war Zanders die angesehenste Papierfirma. Der einseitig glänzende Chromolux-Karton in vielen verschiedenen Farben war beliebt und wurde für edle Drucksachen eingesetzt. Die berühmten großformatige Kalender, gestaltet von den angesehensten Designern und Künstlern konnte man nicht kaufen, nur hoffen, einen geschenkt zu bekommen. Die Kalender sind immer noch gesuchte Sammlerstücke. Damals wurde eine Exkursion zur Firma Zanders nach Bergisch Gladbach angeboten, an der ich aus irgendeinem Grund nicht teilnehmen konnte, von der aber später alle schwärmten. Als ich 1998 in die Papierstadt zog, meldete ich mich für eine Firmenbesichtigung an, wurde dann aber krank. In den folgenden Jahren gab es dann irgendwie mit kleinen Kindern keine Gelegenheit mehr, die Papierfabrik zu besichtigen.
Oft waren wir aber im Papiermuseum „Alte Dombach“, das wunderschöne Fachwerkensemble an der Strunde lag auf dem Spazierweg und wurde später für ein paar Jahre auch die Heimat für meine Workshops. In meinem Buch „Stoff trifft Papier“ habe ich das Museum gewürdigt.

Vor zwei Jahren, kurz nach Eröffnung meines Studios habe ich einmal bei Zanders nachgefragt, ob es noch Chromolux Papiermuster in Farben, die nicht mehr hergestellt werden, gibt und eine dicke Kiste abgestaubt. Davon ist sind viele Karten schon in meinen Workshops bedruckt worden, auch meine Adventspost 2020 habe ich auf dem glänzenden Karton gedruckt.

2021 ist ein trauriges Jahr für das Papier in Bergisch Gladbach. Nach jahrelangen Verhandlungen hat Zanders Insolvenz angemeldet und die Produktion beendet. Kurz danach wurde das Papiermuseum vom Hochwasser überflutet, die Dauerausstellung ist seitdem geschlossen und es ist unklar, wann sie wieder geöffnet werden kann. Auch der schöne Papiermarkt im Museum, an dem ich seit ein paar Jahren immer am ersten Septemberwochenende teilnehme, ist zum zweiten Mal abgesagt.

All diese lokalen Papiergeschichten hatte ich im Kopf, als es an das Papierschöpfen in diesem Sommer ging. Zellstoffplatten aus der Papierproduktion hatte ich einmal geschenkt bekommen, die wollte ich nun zum Einsatz bringen und aus Resten des glänzenden Kartons ein ganz anderes Papier schöpfen.

An einem der wenigen sommerlichen Tage habe ich mit einer Freundin in unserem Garten in Bergisch Gladbach Nußbaum am Mutzbach geschöpft. Hier ist also eine kleine Pop-up-Papier-
mühle entstanden, die ich „Mutzmühle“ nenne. Auch der Mutzbach ist in diesem Sommer über die Ufer getreten und hat einigen Schaden angerichtet, bei uns zum Glück nicht.

Die blauen und grünen Schnipsel in der Neuschöpfung sind aus geschreddertem Chromolux-Karton, der sich sehr gut aufweichen und mixen ließ. Weitere Farben sind spontan aus anderem Bergisch Gladbacher Altpapier entstanden, z.B. aus gelb-orangfarbenen Brottüten.

Mit diesem kleinen Papierset aus der Müllerschen „Mutzmühle“ schicke ich dir also ein kleines Stück Bergischer Gladbacher Papier- und Stadtgeschichte.

In diesem Sommer schien es dann kurz so, als sei die Chromolux-Geschichte in Bergisch Gladbach ist noch nicht zu Ende. Es gab eine Debatte um eine eventuelle Wieder-Inbetriebnahme der Chromolux-Anlagen für eine Papier-Veredelung durch einen unbekannten Investor. Diese war aber sehr umstritten, weil sie zeitlich begrenzt sein sollte und nicht mit der Nutzungsänderung des Fabrikgeländes, das mittlerweile der Stadt gehört, zu vereinbaren wäre. Als ich meine Post abschickte, war das endgülgtige Aus beschlossen.

Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Zellstoff-Platten
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Gemisch aus Zellstoff und Chromolux
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Papier-und Pulpenbüffet im Garten
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Das Schöpfen konnte beginnen.. (den verdünnten Leim im Glas habe ich nur zum Teil beigemischt)
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Ich liebe Wäscheleinenfotos
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Nach dem Trocknen. Die Chromolux-Streifen sind sichtbar.
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Teilweise auch nur als Farbpunkte zu erkennen.
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Ein dicker Stapel ungepresst nach dem Trocknen
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Und nach ein paar Tagen in meiner schönen Buchpresse.
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Päckchen sortieren.
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Restpapier, oder fast Pappe mit vielen Chromolux-Streifen.

Für die Banderole habe ich Chromolux-Mustermappen in Streifen geschnitten und den weißen glänzenden Karton bedruckt. Das Muster ist ein Lüftungsgitter am Papiermuseum “Alte Dombach”. Auch das geschöpfte Papier lässt sich gut mit Schablonendruck bedrucken.

Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021

Der Kontrast vom handgeschöpften Papier zu dem glänzenden Karton gefällt mir sehr.

Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021
Gebündelt: Handgeschöpfte Papiere, Klappkarte mit Chromolox-Geschichte und persönlichen Grüßen.
Papierschöpfen nach ©muellerinart
Sommerpost 2021

Müllers Mutzmühle, meine kleine Pop-Up-Mühle im Garten hat nun wieder geschlossen, doch nicht endgültig wie die große Papierfabrik, sie lässt sich jederzeit bei gutem Wetter wieder einrichten. Papierschöpfen ist für mich eine schöne Sommeraktion, aber eine Aktion pro Sommer reicht mir. Außerdem habe ich jetzt durch die viele schöne Post so einen großen Vorrat an handgeschöpftem Papier, dass meine Mühle beruhigt in den Winterschlaf gehen kann.

Rostig und Bündel Buchbinden ©muellerinart
Sommerpost 2021

Mittlerweile sind auch schon ein paar Papiere verarbeitet. Mein Monatsbuch “rostig + Bündel” für September hat einige handgeschöpfte Innenseiten bekommen, gemixt mit gerosteten und neutralen Papieren.

Rostig und Bündel Buchbinden ©muellerinart
Sommerpost 2021

Gebündelt und mit einem rostigen Faden gebunden darf es sich in diesen Tagen weiter füllen mit norddeutschen Impressionen und vielleicht auch rostigen Strandfunden, mal schauen.

Rostig und Bündel Buchbinden ©muellerinart
Sommerpost 2021
Rostig und Bündel Buchbinden ©muellerinart
Sommerpost 2021

So habe ich von meiner Papierschöpf-Geschichte doch noch den Bogen zum MittwochsMix Thema “rostig + Bündel” bekommen und freue mich auf eure rostigen Bündel, zeigt her in dieser Liste und unter #rostigundbündel.

5 Kommentare zu „Müllers Mutzmühle | Mittwochsmix 92“

  1. So ein schöner und trauriger Beitrag!
    So wunderbar, was alles entstanden ist, so schade, dass vieles zu Ende ist.
    Immerhin, es lebt in Dir weiter, so etwas finde ich immer ganz besonders!
    Dankeschön
    Und jetzt muss ich mich noch auf den Hosenboden setzen um einen abschließenden Beitrag zu bringen, wo ich etwas von den Schølfungen zeigen mag, die hier angekommen sind.
    Danke fürs Erinnern
    Danke Dir und Tabea für die Aktion
    Und Danke für die “rodtige” Inspiration
    Liebe Grüße
    Nina

  2. Ja, es ist ein Jammer, wie mit Zanders eine die Gegend in vielerlei Hinsicht prägende Industrie zu Ende geht. Ich selbst habe nur papiermäßig mit zanders zu tun gehabt und als NW-Lehrerin, als wir das Wasser der Strunde neben unserer Schule regelmäßig untersucht haben. Aber ich habe auch einen Post über Maria Zanders im Rahmen meiner Great-Women-Reihe verfasst, schau mal hier:
    https://lemondedekitchi.blogspot.com/2020/03/great-women-212-maria-zanders.html

    Deine Papiere sind natürlich wieder erste Sahne! Aber ich bin froh, dass ich nicht mitgemacht habe, denn ich hätte die Zeit dafür nicht erübrigen können, u.a. auch wegen des Wassers im Keller und der noch immer nicht abgeschlossenen Reparatur eines Wasserrohrbruchs davor im März. Es tut mir alles sehr weh, wenn ich eure Aktivitäten sehe, aber ich bin durch die Pflege meines Mannes, besonders unter den Pandemiebedingungen inzwischen doch sehr gefordert.
    Alles Gute!
    Astrid

  3. Ach ja, das ist schon eine traurige Sache. Zanders war immer ein Garant für große Qualität und ich war froh, einzelne Papiere und Kalenderseiten von einer Bekannten zu bekommen. Tolle Kunst war dabei und ich schäme mich fast ein bisschen, dass ich sie nicht mehr gewürdigt und sie einfach hier in einer Schublade herumliegen habe. Dein informativer Post wird mich auf jeden Fall dazu motivieren, meine Zander-Papiere mal wieder zu sichten. Die Mühle Dombach habe ich regelmäßig (zum Beispiel bei einer Aktion von dir oder auch allein oder mit meinen SchülerInnen) besucht und in die Quelle der Strunde bin ich bei Schneeregen mal hineingefallen…..
    Deine Ergebnisse finde ich ganz toll, dass Chromolux-Papiere sich so gut zum Schöpfen eignen hätte ich nicht gedacht. Auch als Kontrast im Papier sehen sie super aus.
    Dein Buch ist wunderschön, hast du auch geschöpftes Papier gerostet? Ich habe es auf hellgrünem Papier versucht und bin nicht zufrieden mit den Ergebnissen. Aber schön, wieder etwas auszuprobieren und herum zu experimentieren.
    Eine schöne Zeit im Norden wünsche ich dir (ich bin nächste Woche auch Richtung Norden unterwegs) und liebe Grüße
    Christine

  4. Auch ich hätte niemals hätte ich geglaubt, dass die glänzenden Chromolux-Papiere zum Schöpfen geeignet sind, aber du beweist es mit sehr, sehr schönen Schöpfungen! Traurig, dass diese Papierfabrik nun nicht mehr existiert, es berührt mich immer sehr, wenn solche Traditionsunternehmen aufgeben müssen.
    Dein Rostbuch hat einen sehr schönen Rücken!
    Liebe Grüße – Ulrike

  5. Ich verstehe deine Trauer so… Irgendwie löst sich gerade so viel auf und es ist manchmal schwierig sich da einigermaßen standhaft hindurchzulavieren… Manches muss wohl losgelassen werden. Und man kann sich nicht mehr aufladen, als man tragen kann. Fürs Papiermuseum bei euch hoffe ich noch… Danke und Grüße Ghislana

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